Die Jahresarbeit: Schlussakkord der Waldorfschulzeit

Jaromir J._Bau eines Surfboards

Stuttgart/Hamburg, 15. April 2015/CMS. An Waldorfschulen ist es üblich, zum Abschluss der Schulzeit eine „Jahresarbeit“ zu erstellen, deren Thema die SchülerInnen interessengeleitet frei wählen dürfen; Betreuung erhalten sie von einer Lehrkraft. Die Jahresarbeit besteht aus einem schriftlichen, mündlichen und praktisch-künstlerischen Teil, so dass die Vielfältigkeit des Gelernten auf verschiedenen Ebenen erprobt und am Ende vor der Schulgemeinschaft präsentiert wird. Das ist nicht nur pädagogisch sehr wertvoll, sondern die Jugendlichen selbst empfinden es auch als eine außerordentlich lehrreiche und zukunftsweisende Erfahrung.

„Rückblickend kann ich über die Abschlussarbeit sagen, dass sie viele wichtige Fähigkeiten für die Zukunft in mir wachgerufen hat. Ich musste lernen, alleine Aufgaben zu bewältigen, einen Zeitplan zu entwerfen und mich an ihn zu halten, mir Gedanken zur Umsetzung des Projekts und zur Gestaltung des Vortrags machen“, fasst Antonia S. von der Rudolf-Steiner-Schule-Dortmund ihre Erfahrung zusammen. Nicht nur sie sieht die Jahresarbeit als den Höhepunkt der Waldorfschulzeit an, weil in ihr alle Eigenschaften eines Waldorfschülers zur Geltung kommen: Leistungsbereitschaft, Begeisterung und das Bewusstsein für die Umwelt.

Die Themenwahl zeigt dabei eine Vielfalt, die alle nur erdenklichen Lebensbereiche umfasst: vom Bierbrauen über Bodyart, Buddhismus und Fliegerei bis hin zu chinesischer Kampfkunst, Pflanzenheilkunde, Trendsport, Musikkompositionen, vom Roman Schreiben, Film Drehen, Epilepsie bis hin zu so hochaktuellen Themen wie Organspende, Pränataldiagnostik und Down-Syndrom, Sterbebegleitung oder Traumata als Berufsrisiko in bestimmten Arbeitsbereichen.

Immer geht es darum, eine eigene Forschungsarbeit in Form von exakten Beobachtungen, Befragungen, Versuchen, Gesprächen usw. durchzuführen, die durch Literaturstudium und das Aufsuchen weiterer Informationsquellen zu ergänzen ist. Die Jahresarbeit stellt an die SchülerInnen die Aufgabe, zu einem schwerpunktartigen Erfassen von Sachverhalten zu kommen, Ursachen und Zusammenhänge zu erkennen und Lösungsansätze für die individuell formulierten Fragestellungen zu finden. Dabei ist die Arbeit formal an wissenschaftliche Ansprüche angelehnt (Zitieren, Quellenangabe), methodisch liegt der Schwerpunkt jedoch auf der von eigener Erfahrung und selbstständiger Urteilsfindung geprägten Auseinandersetzung mit dem Thema. Die SchülerInnen erfahren zum Ende ihrer Schullaufbahn noch einmal gebündelt ihre eigenen Interessen, Fähigkeiten und Fertigkeiten gepaart mit Initiativkraft und (notwendiger) Eigenmotivation, was Selbstvertrauen und Selbsterkenntnis heranreifen lässt und zur Formung der Persönlichkeit beiträgt. Auch kann so ein erster Ausblick auf den Lebensweg entstehen und die eigene Berufswahl sich dadurch weiter ausdifferenzieren.

Der abschließende Vortrag vor Eltern, Verwandten, Kollegium, MitschülerInnen und Freunden fasst dann alles Gelernte zusammen und ist eine große Herausforderung für die Jugendlichen, nach deren Bewältigung sie zu Recht Stolz empfinden. Sie üben sich dabei in freiem Sprechen, im Präsentieren vor vielen Menschen und lernen, mutig zu ihren eigenen Ergebnissen und Schlüssen zu stehen, die sie im Laufe des Jahres gefunden haben. „Rückblickend eine einzigartige Erfahrung, die einen bereichert und einem zeigen kann, wozu man in der Lage ist – auch wenn man ganz auf sich allein gestellt ist“, erklärt Jonas K. abschließend.

Noch bis Ende des Schuljahres laden viele Waldorfschulen zur Präsentation der Jahresarbeiten ein – eine Auswahl findet sich hier: www.waldorfschule.de/jahresarbeiten

Bund der Freien Waldorfschulen e.V.
Die derzeit 234 deutschen Waldorfschulen haben sich zum Bund der Freien Waldorfschulen e.V. mit Sitz in Stuttgart zusammengeschlossen, wo 1919 die erste Waldorfschule eröffnet wurde. Die föderative Vereinigung lässt die Autonomie der einzelnen Waldorfschule unangetastet, nimmt aber gemeinsame Aufgaben und Interessen wahr.