Stundenplan als zu enges Korsett für das Lernen?

Waldorfeltern aus ganz Deutschland trafen sich in Karlsruhe- Verhältnis von Tradition und Fortschritt als Thema - Erschütternder Gaza-Bericht 

Karlruhe. „ Engagement im Bildungsbereich ist eine wichtige Aufgabe, denn Bildung ist unsere Zukunft“. Mit diesen Worten lobte der Erste Bürgermeister der Stadt Karlsruhe,  Harald Denecken, das ehrenamtliche Engagement der Eltern an Waldorfschulen. Denecken sprach vor 270 Elternvertretern, die am zweiten Februarwochenende zur 75. Bundeselternratstagung (BERT) des Bundes der Freien Waldorfschulen nach Karlsruhe gekommen waren.

Unter dem Titel: „Auf neuen Wegen unterwegs zu den Wurzeln“ diskutierten die aus ganz Deutschland angereisten Eltern über das Verhältnis von Tradition und Fortschritt. „In einem Zeitalter, in dem Technik und Computer Zeit und Raum auflösen, arbeiten alle Schulen noch immer mit zeitlichen Strukturen aus dem 19. Jahrhundert“, so der Waldorflehrer und bekannte Buchautor Rüdiger Iwan im Podiumsgespräch mit seinem Kollegen Thomas Jachmann. Gemeint ist die 45minütige Einteilung der Stundenpläne, die die Schüler nach Auffassung Iwans daran hindert, in wirkliche Lernprozesse einzusteigen.  Denn, so Jachmann, „Wissensvermittlung funktioniert im Zeittakt, Kreativität nicht.“ Selbstkritisch merkten die Vortragenden an, dass selbst Waldorfschulen trotz ihres Epochenunterrichts nicht frei von diesem „Stundenplankorsett“ sind. Dass es anders gehe, zeige die Windrather Talschule in Wuppertal. Dort würden die Schüler  von Lehrer in Teams und in längeren Einheiten unterrichtet. Keine Pausenglocke reiße die Lernenden aus Aufgabe, in die sie gerade vertieft seien.
 
Der Fortbildungscharakter der Tagung wurde durch zahlreiche Arbeits- und Gesprächsgruppen deutlich, die sich in drei Einheiten am Samstag und Sonntag  aktuellen Bildungsfragen widmeten. Themen waren zum Beispiel „ Das Lernen lernen“, „Mobbing und Gewalt unter Schülern“, „die Kunst der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrern“, „Erkennen und Fördern von Kindern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche“ und  „die Zukunft der Schulabschlüsse. In drei Plenumsveranstaltungen tauschten sich die Delegierten über gemeinsam interessierende Themen aus und hörten aktuelle Informationen aus der Waldorfschulbewegung.

Zu Gast bei der Tagung war auch die internationale Organisation der Waldorfpädagogik, die „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“, die ihre Arbeit vorstellte. In diesem Zusammenhang stand auch ein Bericht von Bernd Ruf, einem Vertreter der „Freunde“, der gerade mit einem Kriseninterventionsteam der Organisation aus Gaza zurückgekehrt war.

Ruf fand deutliche Worte für die Situation in diesem Gebiet. Gaza gleiche einem „Vorhof der Hölle“, sagte er. Die Lebensgrundlagen der Menschen seien durch den israelischen Militärangriff bewusst zerstört worden, die medizinische Versorgung sei zusammengebrochen ebenso wie die Belieferung mit Lebensmitteln oder Hilfsgütern. Ein militärischer Sinn sei darin nicht zu erkennen.

Das Leid der Kinder und ihrer Familien in Gaza sei kaum zu beschreiben, betonte Ruf. Kinder hätten miterlebt, wie ein Großteil ihrer Familienangehörigen umkam oder hätten verschüttet in zerstörten Häusern neben toten Angehörigen ausharren müssen.

Das Kriseninterventionsteam der „Freunde der Erziehungskunst“ hatte sich vier Tage lang in Gaza aufgehalten, um eine pädagogische Nothilfe für traumatisierte Kinder zu leisten. Sie soll posttraumatischen Belastungsstörungen vorbeugen. Das Team  musste Gaza jedoch wieder verlassen, weil die Grenzen auch für Hilfsorganisationen geschlossen wurden. Die von israelischen Freunden angeregte Hilfsaktion, an der 14 anthroposophische Ärzte, Therapeuten, Waldorfpädagogen und Dolmetscher teilnahmen, sei „ausschließlich humanitär motiviert“, heißt es in einer Veröffentlichung der Organisation.

Die internationale Organisation der Waldorfpädagogik verfügt über langjährige Erfahrung in der Krisenpädagogik bei Naturkatastrophen oder in Kriegsgebieten. Sie möchte ihre Arbeit in Gaza so schnell wie möglich fortsetzen, betonte Ruf in Karlsruhe und bat die anwesenden Waldorfeltern um Spenden für die Arbeit des Teams, deren Kosten bisher rund 43.000 Euro betragen.

Die versammelten Waldorfeltern reagierten mit großer Betroffenheit auf den Bericht. Nur mit Mühe fanden alle wieder zur Tagesordnung zurück. Die nächste Bundeselternratstagung der Freien Waldorfschulen wird vom 18.- 20.September in Elmshorn in Schleswig-Holstein stattfinden.

H.Robbe/C.Unger-Leistner

Link
Ein ausführlicher Bericht zum Gaza-Thema von Bernd Ruf ist zu lesen unter
www.nna-news.org

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