Waldorfpädagogik im Dienste des Friedens

Globalisierte Welt erfordert Entwicklung des Individuums - Pressekonferenz zur Eröffnung des Steiner-Jubiläums-Jahres

28.10.2010: Stuttgart/Dornach. Pädagogik in der globalisierten Welt ist mehr denn je darauf angewiesen, Entwicklungsräume für das Individuum zu eröffnen. Lehrerhandeln in den weltweit rund 1000 Waldorfschulen diene daher dem Ziel, die dazu notwendigen Kräfte zu wecken und zu stärken, betonte Henning Kullak-Ublick vom Bundesvorstand der Freien Waldorfschulen anlässlich der Eröffnungspressekonferenz zum Steiner-Jubiläumsjahr in Dornach.

In geistiger Beziehung sei eben jeder Mensch „eine Gattung für sich“, wie Rudolf Steiner es formuliert habe. Er habe damit den Grundstein für eine neue pädagogische Idee gelegt, den Unterricht ausschließlich in den Dienst der Entwicklung jedes einzelnen Kindes zu stellen.

Das Leitideal der Waldorfpädagogik begründe damit gleichzeitig einen Kulturbegriff, der sich nicht aus den Merkmalen geografischer, religiöser oder ethnischer Überlieferung ableiten lasse. „ Eine Schule, die sich so versteht, rechnet immer mit dem handelnden Menschen vor Ort. Sie widersetzt sich daher jeder politischen oder weltanschaulichen Vereinnahmung. Deswegen konnte die Waldorfpädagogik auch weltweit in völlig unterschiedlichen Kulturen aufgegriffen und an die jeweiligen Umstände angepasst werden, ohne ihren Kern aufzugeben“ erläuterte Kullak-Ublick

Eine nur am Ergebnis orientierte Pädagogik, wie sie heute in der bildungspolitischen Diskussion vorherrsche, laufe immer Gefahr, lediglich Wissensanhäufung zu betreiben und damit Autoritätsgläubigkeit zu veranlagen. Dem gegenseitigen Verstehen sei dies abträglich. „Nur wer sich selbst entwickelt, kann auch in den bunten Gewändern des ethnisch anderen das Werdende entdecken“, so Kullak-Ublick weiter. Die weltweite Waldorfschulbewegung fühle sich diesem allgemein menschlichen Impuls verpflichtet und trage so zum friedlichen Miteinander der Menschen bei.

Beim pädagogischen Round-Table der Waldorfpädagogik in Dornach stellte Olivia Girard von den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners die Arbeit dieser internationalen Waldorforganisation vor. Sie berät und fördert derzeit rund 200 Einrichtungen in 70 Ländern. Die rasante Entwicklung der Waldorfbewegung weltweit habe in den letzten Jahren auch die Arbeitsbereiche der Freunde der Erziehungskunst vervielfacht, erläuterte Girard dazu. Der Unterstützung der Waldorfschulen in den ärmeren Ländern dient u.a. der WOW-Day, den die Waldorfschulen jedes Jahr durchführen. Einen Tag lang arbeiten die Waldorfschüler dabei zugunsten des Projekts. Insgesamt wurden bisher dadurch 1,5 Millionen Euro erwirtschaftet. Im Rudolf-Steiner-Jubiläums-Jahr soll der WOW-Day europaweit stattfinden.

Christoph Doll, Dozent am Waldorflehrerseminar in Berlin erläuterte in Dornach den Ansatz der Interkulturellen Waldorfschule, der seit 2003 in Mannheim existiert und immer weiter entwickelt wird. Ähnliche innovative Waldorfinitiativen in Deutschland gibt es in Stuttgart, Hamburg und Dortmund. Die Welt spiegele sich heute auch im Klassenzimmer von Gesamtschulen, wo viele Ethnien, Schichten und Religionen aufeinander träfen, sagte Doll. „Die Angst vor dem Fremden braucht gar nicht erst zu entstehen, die Kinder können von klein auf Begegnungsfähigkeit erlernen“, betonte er. Durch Betonung des Allgemein-Menschlichen und durch das gemeinsame Arbeiten von Kindesbeinen an wirke die Interkulturelle Pädagogik sozial und kulturell integrativ.

Auf den Wandel in der Gesellschaft und die Erfordernisse der heutigen Lebensrealitäten müsse auch die Lehrerbildung eingehen, betonte Prof. Marcelo da Veiga von der Alanus Hochschule in Alfter anlässlich der PK. Die Waldorfpädagogik habe die Aufgabe, auf Veränderungen der Bevölkerungsstruktur und Fragen der kulturellen Identität sowie der persönlichen Sinnfindung, die diesen gesellschaftlichen Wandel prägen, zu reagieren. Zudem  gelte es, die spirituellen Aspekte, die dem Menschenbild der Waldorfpädagogik zugrunde liegen, stärker und fundiert anhand wissenschaftlicher Kriterien zu untersuchen und in einen kritischen Dialog mit der universitären Erziehungswissenschaft zu bringen. Diesen Ansatz greife auch die Alanus Hochschule in ihrer pädagogischen Forschung auf. „In der Pädagogik steht  man immer wieder neu vor der Herausforderung, die methodischen und wissenschaftlichen Grundlagen sowie die Praxistauglichkeit und Zeitgemäßheit zu hinterfragen“, so da Veiga.  

Die Ausbildung zum Waldorflehrer ist derzeit in Deutschland an elf Lehrerseminaren bzw. Hochschulen möglich, sowohl als Vollzeitstudium als auch in berufsbegleitender Form. Eine Kampagne des Bundes der Freien Waldorfschulen informiert unter www.bildung-fürs-leben.de über Studien- und Arbeitsmöglichkeiten.

 

Über den Bund der Freien Waldorfschulen e.V.

Die deutschen Waldorfschulen haben sich zu einem Bund der Freien Waldorfschulen e.V. mit Sitz in Stuttgart zusammengeschlossen. Die föderative Vereinigung lässt die Autonomie der einzelnen Waldorfschule unangetastet, nimmt aber gemeinsame Aufgaben und Interessen wahr. Korporative Mitglieder sind derzeit 219 Waldorf- und Rudolf-Steiner-Schulen sowie elf Seminare/Hochschulen für Waldorfpädagogik. Daneben gibt es rund 1.900 persönliche Mitglieder.

Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart eröffnet. Nach 90 Jahren Waldorfpädagogik gibt es heute weltweit über 1.000 Waldorfschulen sowie 2.000 Kindergärten und Förder-Einrichtungen in allen Erdteilen, darunter auch in Israel, Südafrika und Ostasien.

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Cornelie Unger-Leistner
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