Die Besonderheiten des Chemieunterrichts an Waldorfschulen

Die Chemie ist in vielfacher Hinsicht eine sehr bedeutsame Wissenschaft, denn sie hat viel mit unserem alltäglichen Leben zu tun: Gesundheit und Krankheit, Ernährungsfragen und medizinische Themen, technische Aspekte vom Haushalt bis zur Raumfahrt, Weltklimafragen und vieles mehr. Nahezu überall stößt man auf die zahllosen positiven Einsatzmöglichkeiten, wie auch auf die nicht zu übersehenden Risiken, die die verschiedenen Teilgebiete der Chemie mit sich bringen. Selbstverständlich ist sie somit auch ein wichtiges Unterrichtsfach in der Schule und spielt fächerübergreifend ebenfalls eine Rolle. Dabei ist es den Waldorfschulen ein Anliegen, jungen Menschen eine Vielfalt von Berührungsmöglichkeiten mit dieser wichtigen Naturwissenschaft zu eröffnen und sie in deren bewegliche Gedankengänge einzuführen. So können sie sich als urteils- und handlungsfähige Persönlichkeiten einen selbstbestimmten Umgang mit der Chemie erschließen und zu eigen machen.

Der Chemieunterricht an Waldorfschulen verfolgt einen phänomenologischen Ansatz, der von Erscheinungen in ihrem Sosein ausgeht  und durch folgende Punkte charakterisiert werden kann:

  • Die Darstellung chemischer Reaktionen, die eindrückliche Phänomene aufweisen
  • Die Erarbeitung von Gesetzmäßigkeiten anhand beobachtbarer Phänomene (z.B. zunächst keine Einführung von Atommodellen, sondern ein Ableiten aus den beobachteten Phänomenen heraus)
  • Das Ermöglichen von Erkenntnissen, die über die analytisch-quantitativen Aspekte hinausreichen
  • Die Orientierung am Waldorflehrplan, der altersadäquat ist, weil er die jeweilige Entwicklungsstufe der Jugendlichen berücksichtigt
  • Eine nachhaltige Begeisterung der Jugendlichen für das Fach Chemie durch den Einsatz vielfältiger Unterrichtsmethoden
  • Eine Unterrichtsgestaltung in Epochen, die über drei bis vier Wochen jeden Morgen die ersten zwei Schulstunden als Doppelstunde umfassen
  • Die Begleitung der Jugendlichen bis zu den staatlichen Schulabschlüssen, auch bis zum erfolgreichen Bestehen einer zentralen Abiturprüfung, sofern diese zum Schulprofil gehört

Das Berufsbild Waldorfchemielehrer:in

Die Grundidee der Waldorfschule ist es, Schule und Unterricht so zu gestalten, dass die Heranwachsenden ihre Ideale, Fähigkeiten und Zukunftsimpulse finden und verwirklichen können. Der Unterricht an Waldorfschulen basiert auf Erleben und Erkennen und regt in den Jugendlichen den Wunsch an, den eigenen Horizont erweitern zu wollen. Diese Bestrebung fördert die Urteilsfähigkeit, -sensibilität und -sicherheit der Heranwachsenden. Schule kann dann als Begegnungsraum verstanden werden, der zu Entwicklung anregt und aus der Begegnung zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen selbstverantwortliches Lernen entstehen lässt.

Die Aufgaben der Oberstufenlehrkraft umfassen neben der Durchführung und Organisation des Unterrichts die Betreuung einer Klasse, das Vorbereiten und Begleiten von Praktika und Klassenfahrten sowie die verantwortliche Mitarbeit in der Selbstverwaltung der Schule. Für den Chemielehrer oder die Chemielehrerin kommen weitere fachspezifische Aufgaben wie die Betreuung, Pflege und Erweiterung der Sammlungen und Laboreinrichtungen hinzu, einschließlich sämtlicher Sicherheits- und Entsorgungsfragen und ggf. die Unterstützung der Kolleg:innen bei ihren Chemieepochen in der Mittelstufe.

Der Chemieunterricht in der Oberstufe einer einzügigen Waldorfschule (von der 9. bis zur 12. Klasse) umfasst in der Regel pro Jahr jeweils eine drei- bis vierwöchige Hauptunterrichtsepoche, insgesamt also vier Epochen, und zusätzlich einige Fachstunden in der 12. und 13. Klasse, wenn Chemie ein Abiturfach ist. Bei zweizügigen Schulen verdoppelt sich der Unterrichtsumfang entsprechend. Außerdem gibt es an einigen Waldorfschulen Laborpraktika in der 9. und/oder 10. Klasse. In der Regel reicht das Fach Chemie für ein volles Deputat an einer Waldorfschule nicht aus. Für eine volle Stelle wird ein zweites Unterrichtsfach benötigt.

Zulassungsvoraussetzungen und Bildungsmöglichkeiten

Ein Studium oder eine Weiterbildung zum Oberstufenlehrer bzw. zur Oberstufenlehrerin an Waldorfschulen setzt immer eine Fachkompetenz voraus, d.h. als Bewerber:in benötigen Sie ein abgeschlossenes Studium in dem entsprechenden Unterrichtsfach. Das Studium oder die Weiterbildung umfasst dann neben Fachdidaktik und Methodik weitere  Inhalte wie Kenntnisse der Allgemeinen Menschenkunde Rudolf Steiners, die sich mit der physiologisch-körperlichen, emotionalen und kognitiven Entwicklung in Kindheit und Jugend beschäftigt, um so zu einem vertieften Verstehen der Heranwachsenden zu gelangen. Weitere Schwerpunkte sind das Entdecken der eigenen pädagogischen Fähigkeiten und die Weiterentwicklung Ihrer Persönlichkeit, um der Entwicklung junger Menschen dienen zu können. Denn die besten Entwicklungschancen für die Schülerinnen und Schüler bietet die Lehrkraft, die sich selbst auf den Weg gemacht hat: hin zu einem Verständnis menschlicher Entwicklung, zu künstlerischer Tätigkeit und vor allem zu sich selbst.

Ausbildungsmöglichkeiten finden sich an verschiedenen Hochschulen und Seminaren in ganz Deutschland.

Einstellungsvoraussetzungen:

  • Abgeschlossenes Chemiestudium (Lehramt, Master oder Diplom) oder verwandte Studiengänge, bei denen Chemie entweder im Mittelpunkt stand oder eines der zentralen Fächer war
  • Mit dem 2. Staatsexamen in Chemie kann ohne Auflagen direkt mit dem Unterrichten begonnen werden
  • Die staatliche Lehrgenehmigung für Bewerber:innen ohne eine vollständige staatliche Lehrerausbildung erfolgt spezifisch je nach Bundesland und muss deshalb individuell geprüft werden.
  • Abgeschlossene waldorfpädagogische Zusatzausbildung (kann evtl. auch berufsbegleitend nachgeholt werden)

Hier können Sie eine aktuelle Auswahl der offenen Stellen für Chemielehrer:innen an Waldorfschulen finden.