Die Besonderheiten des Geschichtsunterrichts an Waldorfschulen

Der Gegenstand des Geschichtsunterrichtes ist die Zeit. Indem sich die Schülerinnen und Schüler in die Vergangenheit bewegen und von dort aus den Entwicklungsgang der Menschheit nachvollziehen, lernen sie ihre Gegenwart zu verstehen – und Zukunft wahrzunehmen. Das Interessanteste für einen jungen Menschen ist die Zukunft – von dort, und nicht aus der schon fertigen, gegebenen Welt, kommt ihm sein eigenes Wesen entgegen. Deshalb kann die Geschichte für ihn zur Entdeckung werden: Sie zeigt, wie unumstößliche Realitäten plötzlich aufbrechen, Neues entsteht, und wie die Menschheit einen Weg geht. Geschichte schafft Orientierung. Dies gelingt allerdings nur, wenn sie den Jugendlichen nicht als archivierte Vergangenheit gegenübertritt, sondern als aktuelles Geschehen, an dem sie selber teilhaben.

Der Waldorf-Geschichtsunterricht geht insofern immer von den latenten Fragen der jungen Menschen aus, behandelt in der 9. Klasse die Revolutionen der Neuzeit, setzt in der 10. Klasse noch einmal bei den Anfängen der Menschheit an, um in der 11. Klasse die römische Antike, das Christentum und den Islam zu behandeln und in der 12. Klasse globale Zusammenhänge der modernen Geschichte zu erarbeiten. Das 13. Schuljahr ist der Vorbereitung auf das Abitur bzw. (an manchen Schulen) auf die Fachhochschulreife vorbehalten.

Das Berufsbild Waldorfgeschichtslehrer:in

Die Grundidee der Waldorfschule ist es, Schule und Unterricht so zu gestalten, dass die Heranwachsenden ihre Ideale, Fähigkeiten und Zukunftsimpulse finden und verwirklichen können. Der Unterricht basiert auf Erleben und Erkennen und regt in den Jugendlichen den Wunsch an, den eigenen Horizont erweitern zu wollen und fördert ihre Urteilssensibilität und -sicherheit. Schule kann dann als Begegnungsraum verstanden werden, der zu Entwicklung anregt und aus der Begegnung zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen selbstverantwortliches Lernen entstehen lässt.

Die Geschichtslehrkraft in der Oberstufe einer Waldorfschule unterrichtet in den Klassen 9 bis 13. Die Tätigkeit ist geprägt von der Begegnung mit jungen Menschen, mit denen gemeinsam die Geschichte entdeckt wird. Dabei besteht die Aufgabe weniger in der bloßen Vermittlung von Faktenwissen – dieses kann inzwischen jeder Jugendliche ohne Aufwand im Internet abrufen. Vielmehr ist die Lehrkraft dort gefragt, wo es um die Erschließung von Zusammenhängen, also um eine Erarbeitung von Geschichtsbewusstsein geht. Dafür benötigen die jungen Menschen noch Anleitung, um sozusagen Zeitgenossen zu sein. Das ist eine sehr spannende und begeisternde Aufgabe, denn junge Menschen tragen zahlreiche gesellschaftliche und auch biographische Fragen und Impulse in sich, die oft ganz eng mit der Geschichte verbunden sind.

Da es nicht um akademisches Spezialistentum, sondern um die eigene Orientierung im Gang der Menschheit geht, arbeitet sich die Lehrerin oder der Lehrer in die Altsteinzeit genauso ein wie in das Leben der ersten Ackerbauern, in den ägyptischen Pyramidenbau, die Perserkriege der Griechen, das römische Staatswesen, das christliche Mönchtum, den Bau der Dampfmaschine oder die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Die Aufgaben der Oberstufenlehrkraft umfassen neben der Durchführung und Organisation des Unterrichts die Betreuung einer Klasse, das Vorbereiten und Begleiten von Praktika und Klassenfahrten sowie die verantwortliche Mitarbeit in der Selbstverwaltung der Schule.

Der Geschichtsunterricht in der Oberstufe einer einzügigen Waldorfschule (von der 9. bis zur 12. Klasse) umfasst in der Regel pro Jahr jeweils zwei dreiwöchige Hauptunterrichtsepochen, insgesamt also acht Epochen, und zusätzlich einige Fachstunden in der 12. oder 13. Klasse, wenn Geschichte ein Abiturfach ist. Bei zweizügigen Schulen verdoppelt sich der Unterrichtsumfang entsprechend. In der Regel reicht das Fach Geschichte für ein volles Deputat an einer Waldorfschule nicht aus. Für eine volle Stelle wird ein zweites Unterrichtsfach benötigt.

Zulassungsvoraussetzungen und Bildungsmöglichkeiten

Ein Studium oder eine Weiterbildung zum Oberstufenlehrer bzw. zur Oberstufenlehrerin an Waldorfschulen setzt immer eine Fachkompetenz voraus, d.h. als Bewerber:in benötigen Sie ein abgeschlossenes Studium im entsprechenden Unterrichtsfach. Das Studium oder die Weiterbildung umfasst dann neben Fachdidaktik und Methodik weitere Inhalte wie Kenntnisse der Allgemeinen Menschenkunde Rudolf Steiners, die sich mit der physiologisch-körperlichen, emotionalen und kognitiven Entwicklung in Kindheit und Jugend beschäftigt, um so zu einem vertieften Verstehen der Heranwachsenden zu gelangen. Weitere Schwerpunkte sind das Entdecken der eigenen pädagogischen Fähigkeiten und die Weiterentwicklung Ihrer Persönlichkeit, um der Entwicklung junger Menschen gerecht werden zu können. Denn die besten Entwicklungschancen für die Schülerinnen und Schüler bietet die Lehrkraft, die sich selbst auf den Weg gemacht hat: hin zu einem Verständnis menschlicher Entwicklung, zu künstlerischer Tätigkeit und vor allem zu sich selbst.

Ausbildungsmöglichkeiten finden sich an verschiedenen Hochschulen und Seminaren in ganz Deutschland.

Einstellungsvoraussetzungen:

  • Abgeschlossenes Geschichtsstudium (Lehramt, Master oder Diplom) oder verwandte Studiengänge
  • Die staatliche Lehrgenehmigung erfolgt jedoch spezifisch je nach Bundesland anders und muss deshalb individuell geprüft werden.
  • Abgeschlossene waldorfpädagogische Zusatzausbildung (kann evtl. auch berufsbegleitend nachgeholt werden)

Hier können Sie eine aktuelle Auswahl der offenen Stellen für Geschichtslehrer:innen an Waldorfschulen finden.