Die Besonderheiten des Physikunterrichts an Waldorfschulen

Der Physikunterricht an Waldorfschulen stellt die Begegnung mit der Natur in den Fokus des schulischen Unterrichts. Auf der Grundlage von Experimenten und Versuchsreichen geht es zunächst um eine unvoreingenommene Beobachterposition, der eine Wertschätzung für die Naturerscheinungen zu Grunde liegt. Im Rahmen der Auswertung von Versuchen zielt der Unterricht dann auf das Ordnen der Erscheinungen und Phänomene, deren sprachliche Verdichtung sowie schließlich die begriffliche Erfassung der Ergebnisse. Dabei können je nach Altersstufe und Thema die Schülerinnen und Schüler mit geometrischen bzw. symbolischen Ordnungselementen vertraut gemacht werden.

Die dreigegliederte Unterrichtsgestaltung umfasst im ersten Schritt eine konzentrierte, detaillierte und unvoreingenommene Beobachtung. Im zweiten Schritt gilt es, unter Zurückhaltung verfrühter, eventuell zu kurz greifender Erklärungen, die Vielfalt der beobachteten Phänomene zu würdigen und mündlich sachgerecht sowie gut verständlich wiederzugeben. Der dritte Schritt erfolgt in der Regel am darauffolgenden Tag, um das Gelernte über Nacht verarbeiten und damit vertiefen zu können. Nach einer erneuten Reflexion wird dann am nächsten Tag anhand einer bereits erstellten Übersicht der kausale Zusammenhang entwickelt, wobei Charakteristisches und Wesenhaftes hervortritt und in der Regel bis zu einer Begriffsbildung führen soll.

Im Physikunterricht an Waldorfschulen stehen Experimente im Mittelpunkt, die in einen phänomenologischen Ansatz eingebettet sind. Das Experiment ist dabei der Vermittler zwischen den Heranwachsenden und der Welt. Die Schüler und Schülerinnen lernen, genau zu beobachten und währenddessen ein mögliches Urteilen und Bewerten noch zurückzuhalten. Die Fülle von Erscheinungen, die sich bei physikalischen Versuchen beobachten lassen, und der sich daran anschließende Prozess der Begriffsbildung sollen dabei miteinander in Verbindung treten. So können die Jugendlichen ihre eigenen Gedanken als etwas erleben, das in gleicher Weise produktiv ist, wie es die Um- und Ausgestaltungen der Natur in physikalischen Versuchen sind. Damit treten reine Modellerklärungen physikalischer Sachverhalte zunächst in den Hintergrund. Sie werden erst auf Grundlage eines phänomenologischen Vorgehens methodisch eingeordnet, was zum Ziel hat, dass gelernt wird, physikalische Modelle nicht seinsmäßig (ontologisch), sondern erkenntnismäßig (epistemologisch) zu bewerten. Insbesondere soll die emotionale Akzeptanz von Verständnisprozessen nicht auf hypothetisch vorgestellte Abläufe hinter den Erscheinungen gegründet werden.

Die Inhalte der verschiedenen Klassen sind entwicklungspsychologisch und anthropologisch begründet und basieren auf der Allgemeinen Menschenkunde Rudolf Steiners, die im Rahmen der Lehrerausbildung ein wichtiges Fach darstellt.

Das Berufsbild Waldorfphysiklehrer:in

Die Grundidee der Waldorfschule ist es, Schule und Unterricht so zu gestalten, dass die Heranwachsenden ihre Ideale, Fähigkeiten und Zukunftsimpulse finden und verwirklichen können. Der Unterricht an Waldorfschulen basiert auf Erleben und Erkennen und regt in den Jugendlichen den Wunsch an, den eigenen Horizont erweitern zu wollen. Diese Bestrebung fördert die Urteilsfähigkeit, -sensibilität und -sicherheit der Heranwachsenden. Schule kann dann als Begegnungsraum verstanden werden, der zu Entwicklung anregt und aus der Begegnung zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen selbstverantwortliches Lernen entstehen lässt.

Die Aufgaben der Oberstufenlehrkraft umfassen neben der Durchführung und Organisation des Unterrichts die Betreuung einer Klasse, das Vorbereiten und Begleiten von Praktika und Klassenfahrten sowie die verantwortliche Mitarbeit in der Selbstverwaltung der Schule. Für die Physiklehrkraft kommen weitere fachspezifische Aufgaben hinzu, wie die Betreuung, Pflege und Erweiterung der Sammlungen und Laboreinrichtungen, einschließlich sämtlicher Sicherheits- und Entsorgungsfragen oder die Unterstützung der Kolleg:innen bei ihren Physikepochen in der Mittelstufe.

Der Physikunterricht in der Oberstufe einer einzügigen Waldorfschule (von der 9. bis zur 12. Klasse) umfasst in der Regel pro Jahr jeweils eine dreiwöchige Hauptunterrichtsepoche, insgesamt also vier Epochen, und zusätzlich einige Fachstunden in der 12. oder 13. Klasse, wenn Physik ein Abiturfach ist. Bei zweizügigen Schulen verdoppelt sich der Unterrichtsumfang entsprechend. In der Regel reicht das Fach Physik für ein volles Deputat an einer Waldorfschule nicht aus. Für eine volle Stelle wird ein zweites Unterrichtsfach benötigt.

Als Physiklehrer:in an Waldorfschulen kennen Sie den phänomenologischen Ansatz, können ihn ansatzweise philosophisch einordnen und seinen Bezug zur Quantentheorie exemplarisch aufzeigen. Außerdem schulen Sie Ihre Präsenz dahingehend, dass Sie während der Experimente keine weiterführenden Zusammenhänge darstellen, sondern dies den Lernenden am folgenden Unterrichtstag überlassen, in dem Sie offene Fragestellungen formulieren und so die Begriffsbildung ermöglichen. Dafür kommen zahlreiche Schüler:innenexperimente zum Einsatz, die Sie während der Durchführung erläutern.

Zulassungsvoraussetzungen und Bildungsmöglichkeiten

Ein Studium oder eine Weiterbildung zum Oberstufenlehrer bzw. zur Oberstufenlehrerin an Waldorfschulen setzt immer eine Fachkompetenz voraus, d.h. als Bewerber:in benötigen Sie ein abgeschlossenes Studium im entsprechenden Unterrichtsfach. Das Studium oder die Weiterbildung umfasst dann neben Fachdidaktik und Methodik weitere Inhalte wie Kenntnisse der Allgemeinen Menschenkunde Rudolf Steiners, die sich mit der physiologisch-körperlichen, emotionalen und kognitiven Entwicklung in Kindheit und Jugend beschäftigt, um so zu einem vertieften Verstehen der Heranwachsenden zu gelangen. Weitere Schwerpunkte sind das Entdecken der eigenen pädagogischen Fähigkeiten und die Weiterentwicklung Ihrer Persönlichkeit, um der Entwicklung junger Menschen gerecht werden zu können. Denn die besten Entwicklungschancen für die Schülerinnen und Schüler bietet die Lehrkraft, die sich selbst auf den Weg gemacht hat: hin zu einem Verständnis menschlicher Entwicklung, zu künstlerischer Tätigkeit und vor allem zu sich selbst.

Ausbildungsmöglichkeiten finden sich an verschiedenen Hochschulen und Seminaren in ganz Deutschland.

Einstellungsvoraussetzungen:

  • Abgeschlossenes Physikstudium (Lehramt, Master oder Diplom) oder verwandte Studiengänge (bei denen Physik entweder im Mittelpunkt stand oder eines der zentralen Fächer war)
  • Die staatliche Lehrgenehmigung erfolgt jedoch spezifisch je nach Bundesland anders und muss deshalb individuell geprüft werden.
  • Abgeschlossene waldorfpädagogische Zusatzausbildung (kann evtl. auch berufsbegleitend nachgeholt werden)

Hier können Sie eine aktuelle Auswahl der offenen Stellen für Physiklehrer:innen an Waldorfschulen finden.